Ehen werden im Himmel geschlossen.

Eine heitere Pfingstgeschichte von Paul Bliß.
in: „Karlsruher Tagblatt” vom 04.06.1922


Drei Tage vor Pfingsten bekam der Prokurist Fritz Wolter von seinem alten Onkel diesen Rohrpostbrief. „Mein lieber Junge, ich bitte Dich für den ersten Festtag zu mir zu Tisch. Du wirst eine Dame kennen lernen, wie für Dich geschaffen — alles, aber auch alles, was Du brauchst, ist da. Also komm. Um ein Uhr beginnt die Chose. Onkelchen.”

Fritz lachte hell auf. Aber nur einen Augenblick hielt der Frohsinn an, dann schob er das Briefchen ärgerlich fort. Unverbesserlich war doch dieser Onkel! Schon zweimal hatte er ihn „reinlegen” wollen, und nur mit Mühe war er den Schlingen entschlüpft. Lächerlich war ja diese Manie, ihn durchaus verheiraten zu wollen! Wenn er so weit war, daß er sich reif für die Ehe fühlte, dann würde er schon selber auf die Freite gehen; vorerst aber war es eben noch nicht so weit!

Nach einigem Ueberlegen schrieb er kurzerhand ein paar höfliche Zeilen, erfand sich eine Urlaubsreise mit Kollegen, die schon von langer Hand vorbereitet war, und sandte, vorsichtig, wie er war, diesen Brief erst am Pfingstheiligabend ab. Am ersten Pfingsttag früh aber fuhr er dann ganz allein, aufs Geratewohl, in die Welt hinaus, um nur ja recht weit vom Schuß zu sein.

Ein Glück, daß er sich vorher einen Platz gesichert hatte, denn diese Fülle im Abteil war wirklich kein Vergnügen.Ganz wütend wurde er auf den Onkel, der ihm dies beschert hatte. Erst, als man ins Freie hinauskam, als sich nach und nach alles plaziert hatte, so daß man wieder atmen konnte, als dann der junge Frühling mit frischem Grün und duftender Blütenpracht zum Fenster hineingrüßte, da wurde auch dem verärgerten Prokuristen wieder froh zu Mut. Die siegende Kraft der Jugend schuf neue Hoffnungen, und mit fröhlichen Augen blickte er hinaus in den sonnigen Pfingstmorgen. Hauptsache war ja doch, daß er dieser dritten Schlinge glücklich entronnen war. Dabei war er ganz und gar kein Feind der Ehe, Im Gegenteil. Aber sich so verkuppeln lassen — um keinen Preis. Das war unwürdig. Mußte überhaupt auch eine nette Pflanze sein, die sich so verschachern ließ! Bewahre einen der Himmel davor!

Je weiter der Zug hinausraste, desto freier und froher wurde ihm ums Herz, und schließlich war er ganz glücklich, daß er jetzt ein paar Tage sorgenfrei umherlungern konnte — gehörig ausnutzen wollte er das!

Da plötzlich, als er aufblickte und sich zum erstenmal für seine Fahrtgenossen interessierte, entdeckte er drüben auf der anderen Bank, leider drei Plätze entfernt von ihm, eine Dame, die ihn sofort fesselte. Donnerwetter, das war so sein Geschmack! Wie fein dieses Profil, wie vornehm diskret Haltung und Kleidung — sicher, sie kam aus der guten Gesellschaft. Aber, wie sich ihr nähern? So eingekeilt, wie man hier war, war jede Möglichkeit dafür genommen.

Jetzt blickte auch sie ihn an . . . Teufel, waren das ein paar Augen! ganz im Galopp pochte sein Herzblut auf einmal! Doch, als sie seine musternden, fragenden Blicke wahrnahm, sah sie gleichgültig zum Fenster hinaus, und nun war er für sie einfach Luft. Ganz geknickt saß er da, und schalt sich einen Tolpatsch ersten Ranges.

Wie er noch so über sein Mißgeschick nachdachte, lief der Zug gerade an einer kleinen Station ein, und plötzlich gab es einen so derben Ruck, daß man recht unsanft durcheinandergeschüttelt wurde. Allgemeines Entsetzen und nervöses Fragen. Dann die beruhigende Antwort des Zugfühers, daß die Maschine defekt sei, was bei dieser Zeit ja nicht wundernehmen dürfe — man möge nur getrost aussteigen, sich hier ein wenig umsehen, in spätestens einer Stunde wäre die Ersatzmaschine da.

Eine herrliche Pfingstueberraschung! Manches grobe Wort war zu hören. Aber es half nichts. Man mußte aussteigen und warten. Nur Fritz Wolter atmete auf. Jetzt oder nie! Glück haben muß ein fescher Kerl! Er nahm seine braune Handtasche aus dem Netz und stieg aus. Aber so viel er auch mit den Blicken Umschau hielt — die Holde schien einfach verschwunden. Schon schalt er sich wieder einen Narren, daß er ihr nicht auf dem Fuße gefolgt war, da endlich entdeckte er sie im Wartesaal. Aber er ward von neuem enttäuscht: sie saß und schrieb, ohne aufzublicken, an einem Brief, so daß jeder Versuch einer Annäherung vergeblich schien.

Aergerlich ueber den Aufenthalt, wütend auf den Onkel, der ihm dies alles eingebrockt hatte, ging er hinaus und durch den Bahnhofsgarten in das Städtchen hinein. Doch, was er nun sah, das machte seine Stimmung wieder heiter und sein Herz froh: vor fast allen diesen Häuschen standen schlanke Kübel oder Eimer, und darin grüne Birkenbüsche — Pfingstmaien! — und wo keine Bäumchen standen, hatte man über den Haustüren Zweige übereinandergenagelt und ein paar Kalmusstauden dazwischengesteckt. Das ganze kleine Städtchen duftete nach frischem Grün. Dann läuteten die Kirchenglocken, und die festlich geputzten Menschen gingen zum Gottesdienst. Wie fern, wie weltenfern erschien ihm das alles — kaum zwei Stunden Bahnfahrt von der großen Stadt fort, und man war wie in einer neuen Welt. Fritz Wolters grollte nicht mehr mit dem Schicksal.

Langsam und nachdenklich ging er zurück zur Bahn. Und er kam auch nicht zu früh: fast alle Fahrgäste hatten ihre Plätze wieder eingenommen, auch seine Dame war bereits da, und — sonderbares Spiel des Zufalls — jetzt saß sie auf seiner Seite, allerdings wieder zwei Plätze von ihm entfernt. Nun, er gab sich darein: es sollte eben nicht sein!

Als der Zug wieder hielt — man war kaum ein halbes Stündchen gefahren — stand seine Dame auf und stieg behend aus. So schnell war es geschehen, daß Fritz Wolter erst aus seinen Träumereien erwachte, als die Tür zuklappte. Sofort war er am Fenster. Und da geschah das Wunder . . . .

Die Dame kehrte zurück und sprach ihn von draußen laut und bittend an: „Meine braune Tasche! Schnell! Da oben im Netz! Ach, ich bitte sehr darum!”

Schon begann der Zug langsam zu fahren, doch Fritz Wolter — ganz elektrisiert durch die tiefe, schöne Alt-Stimme — griff in das Netz und langte der Dame die braune Tasche hinaus. Ein seelenvoller Dankesblick belohnte ihn.

Der Zug fuhr weiter. dem jungen Prokuristen aber ward es heiß und kalt — da, da ging sie nun hin — da ging sie weg von ihm, weiter, immer weiter — und er hatte das Nachsehen — war das nun nicht doch zum Rasendwerden? Matt sank er ins Polster, saß grimmig und erbost da und grübelte vor sich hin.

Plötzlich kam ihm eine Idee: an der nächsten Station mußte er aussteigen, um ihre Spur nicht ganz zu verlieren.

Und dann saß er auf der kleinen Station und wußte nicht, was er nun beginnen sollte. Mißmutig griff er nach seiner Tasche, um sich erst mal ein wenig zu stärken — doch wie er sie aufklappte, was war das? — — ein Damentüchlein, Visitenkärtchen, Brieftäschchen, ein offener Brief — er besah die Tasche genau, sie sah genau so aus wie die seine — — —

Und jetzt jubelte er fast, es war offenbar ihre Tasche, die Tasche seiner holden Dame, die er beim Hinausreichen mit der seinigen verwechselt hatte! Die Spur war da, und nun Glück zu! Das Schicksal wollte ihm doch wohl!

Zuerst forschte er nach dem Namen. Rita Gärtner hieß sie und wohnte in dem Städtchen, wo sie eben ausgestiegen. Dann aber — ja dann glaubte er wirklich seinen Augen nicht trauen zu sollen — der Brief war an seinen alten Herrn Onkel gerichtet. Mit zitternden Händen faltete er das Blatt auseinander ud las:

„Sehr verehrter Herr Oberst! Wie mein Telegramm Ihnen schon sagte, konnte ich heute mittag leider nicht Ihr Gast sein. Sie wissen, ich liebe die Ehrlichkeit. Deshalb sage ich Ihnen offen, ich erfuhr durch Zufall, daß Sie mich mit Ihrem Herrn Neffen verheiraten wollen. Deshalb kam ich nicht! Und ich bitte Sie auch, geben Sie die löbliche Absicht auf! Wenn ich wirklich wieder heiraten sollte, dann suche ich mir selbst einen Mann. Nichts für ungut! Ihre bestens grüßende Rita Gärtner.”

Fritz Wolter stand da und blickte ins Blaue. Wahrhaftig — sollte man da nicht wirklich an ein Wunder glauben!

Aber jetzt hieß es, schnell und klug zu handeln. Nach zehn Minuten bereits saß er in einem Wagen und fuhr nach dem Städtchen, vor dessen Toren, wie er bald erfuhr, die junge verwitwete Frau Rita Gärtner auf ihrem kleinen Gute die Sommerwohnung bezogen hatte.

Als er ankam, war die Dame zuerst ein wenig verlegen. Bald aber schwand die Befangenheit, und es erwies sich, daß die junge Frau einen frischen Humor besaß und mit beiden Füßen mitten im Leben stand. Natürlich wurde er, der ja ihretwegen um seine Pfingstruhe gekommen war, zu Tische dabehalten. Man braute eine duftende Maibowle, unterhielt sich prächtig, und als die Fröhlichkeit den Höhepunkt erreicht hatte, sandte man ein Telegramm an den alten Onkel.

Als der unter der Depesche die beiden Namen Rita Gärtner und Fritz Wolter las, wußte er doch wirklich nicht, was er davon halten sollte. Kurz entschlossen fuhr er am zweiten Feiertag hinüber nach dem Städtchen. Da erfuhr er dann alles.

Und so feierte man doch noch Verlobung, und Onkelchen sagte stolz: „Ihr seid mir zwar beide echappiert, aber in Wirklichkeit habe doch nur ich Euch zusammengebracht!” Und dann braute der alte Herr eine Pfingstbowle, seine strammste „Soldaten-Mischung”, wie er sagte, und trank sie auf das Wohl des jungen Paares.

— — —